Veranstaltung: | Mitgliederversammlung |
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Tagesordnungspunkt: | #2 Antrag A1 |
Antragsteller*in: | AG Stadtentwicklung und Mobilität (dort beschlossen am: 27.09.2018) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 22.10.2018, 16:42 |
Antragshistorie: | Version 1 |
A1NEU2: Vision Zero. Für umfassende Verkehrssicherheit auf Leipzigs Straßen
Antragstext
In den letzten Monaten gab es immer wieder schwere, teilweise tödliche
Verkehrsunfälle in Leipzig. Während bundesweit immer weniger Menschen ihr Leben
im Straßenverkehr verlieren, konnte in Leipzig mit der bisherigen
Verkehrspolitik die Anzahl der Verkehrstoten nicht signifikant gesenkt werden.
14 Todesopfer waren es in 2016 in Leipzig, die Mehrheit Fußgänger*innen (3) und
Radfahrer*innen (5). Generell scheinen die Zahlen in den letzten Jahren
gleichbleibend hoch zu sein Mit dieser Situation wollen wir uns nicht abfinden.
Verkehrstote sind keine Randerscheinung, die wir für unsere Mobilität in Kauf
nehmen müssen. Bei einer wachsenden Stadt ist bei gleichbleibendem Straßenraum
eher mit der Zunahme von Verkehrsproblemen, Unfällen und Verkehrstoten zu
rechnen, wenn kein Umdenken erfolgt. Verkehrstote und Schwerverletzte sind durch
eine kluge Verkehrsplanung zu vermeiden. Dabei sind die schwächeren
Verkehrsteilnehmer besonders zu schützen.
Vision Zero bezeichnet das Ziel, Straßen und Verkehrsmittel so sicher zu
gestalten, dass keine Verkehrstoten und Schwerverletzten mehr auftreten.
Unfallvermeidung ist eine gesellschaftliche Aufgabe, der nicht nur alle
Verkehrsteilnehmenden, sondern auch Verkehrs- und Automobilwirtschaft und
Politik nachkommen müssen. Wir fordern, dass sich die Stadt Leipzig bei Bund und
Land dafür einsetzt, Vision Zero als Leitbild bei der Gesetzgebung und der
Verkehrsförderung zu verankern. Unabhängig davon muss die kommunale
Verkehrsplanung eine größere Verantwortung übernehmen. Daher muss das
Verkehrssystem so gestaltet werden, dass diese Fehler nicht zu
lebensbedrohlichen Verletzungen seiner Nutzer führen.
Diesem Ziel soll sich die Stadt Leipzig so schnell wie möglich in der Stadt- und
Verkehrsplanung verschreiben, um noch mehr unnötige Verkehrstote zu verhindern.
Deshalb fordern wir:
1. Vision Zero konsequent in kommunaler Mobilitätsplanung berücksichtigen
BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN fordern, Vision Zero bei der Verkehrsplanung zum
Leitgedanken zu machen. Dazu sind folgende Maßnahmen notwendig:
umfassende Bestandsaufnahme des Verkehrsnetzes unter dem Aspekt von Vision
Zero vornehmen und daraus folgende Lösungsansätze mit Experten
diskutieren,
Bildung eines Planungsteams im VTA zur Planung der Umsetzung der Ziele von
Vision Zero auf Basis der Ergebnisse der Bestandsaufnahme und
Expertenworkshops.
Verankerung eines halbjährlichen Fortschrittsberichts zum Stand der
Umsetzung von Vision Zero an den Stadtrat durch das Planungsteam im VTA.
bestehende Verkehrsunfallkommission zu einer Verkehrssicherheitskommission
mit Vetorecht bei kommunaler Verkehrsplanung weiterentwickeln,
bei der kommunalen Verkehrsplanung neben Verbänden auch besonders
betroffene Verkehrsteilnehmende wie Kinder, Jugendliche, Senioren und
Menschen mit Mobilitätseinschränkung frühzeitig und umfassend beteiligen.
2. Vorrang für sichere Verkehrsarten
Da das größte Gefahrenpotential bei Unfällen vom motorisierten Individualverkehr
(MIV) ausgeht, ist die Verkehrsplanung vom Reifen auf die Füße zu stellen, um
Vision Zero umzusetzen.
Dazu sind folgende Maßnahmen notwendig:
Bei Planungen vorrangig die Bedürfnisse der schwächsten
Verkehrsteilnehmenden berücksichtigen: 1. Fußgänger à 2. Radfahrer und
ÖPNV à 3. MIV.
Alles was dieser Priorisierung bezüglich der Verkehrsplanung widerspricht,
muss (kurz- oder langfristig) so umgestaltet werden, dass die Teilnahme am
Verkehr zu Fuß, Rad oder mit dem ÖPNV sicherer wird.
3. Geschwindigkeit des MIV im Leipziger Straßennetz reduzieren
Die zu hohe Verkehrsgeschwindigkeit des MIV ist einer der zentralen Faktoren für
tödliche Verkehrsunfälle. Ziel muss die Senkung der Geschwindigkeit im gesamten
Leipziger Straßennetz senken. Dazu sind folgende Maßnahmen notwendig:
Ausbau des Anteils von Fußgängerbereichen, in denen nur Lieferverkehr und
Radverkehr mit Schrittgeschwindigkeit zugelassen sind,
Wohngebiete durch einen höheren Anteil von Fahrradstraßen und die
Einrichtung von Radquartieren mit einer Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h
sicherer machen,
in Sammelstraßen unter verstärkter Nutzung von Verkehrsversuchen eine
Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h durchsetzen,
wir setzen uns für eine Änderung der StVO ein, mit dem Ziel, daß innerorts
Tempo 30 Regelgeschwindigkeit wird. In Ausnahmefällen können die Kommunen
auf den Hauptstraßen Tempo 50 zulassen.
4. Verkehrsraum sicher gestalten
Die Gestaltung von Verkehrsräumen beeinflusst das menschliche Verhalten ebenso
wie Regeln und Verbote. Deshalb ist beim Neu-, Aus- und Umbau von Straßen und
Quartieren sowie der Verkehrsüberwachung der Erhöhung der Verkehrssicherheit
Priorität einzuräumen. Stadtverwaltung und kommunale Unternehmen sollen im
Rahmen ihres Fuhrparks aktiv zur Verkehrssicherheit beitragen. Dazu sind
folgende Maßnahmen notwendig:
Bei der Verkehrsplanung konsequent Sicherheitsaudits anwenden,
einspurige Kreisverkehre für MIV und Radverkehr anstelle von
Ampelkreuzungen und weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit
Erhöhung der Verkehrssicherheit im unmittelbaren Umfeld von Schulen und
Kindertageseinrichtungen durch Fußgängerbereiche oder Fahrradstraßen/-
quartiere,
Auflösung von Nutzungskonflikten zu Ungunsten der schwächeren
Verkehrsteilnehmer insbesondere durch eine bessere Aufklärung und stärkere
Ahndung von Vergehen im ruhenden Verkehr,
Einrichtung einer Fahrradstaffel der Polizeibehörde, welche die
Freihaltung von Radwegen überwacht,
Austattung der Lastkraftwagen in den Fuhrparks der Stadtverwaltung und der
kommunalen Unternehmen mit technischen Ausstattungen zur Vermeidung von
Unfällen in Abbiegesituationen.
Sicherung des gefahrlosen Fahrgastwechsels an Straßenbahnhaltestellen
durch Ampelregelung am Haltestellenende oder durch andere geeignete
Maßnahmen
5. Informationen und Bildung zu Verkehrssicherheit stärken
Eine höhere Verkehrssicherheit steht und fällt mit dem Wissen der
Verkehrsteilnehmenden.
Die Stadt Leipzig soll in Zusammenarbeit mit geeigneten Bildungsträgern und
Verbänden die Verkehrserziehung an Kitas und Schulen verstärkt fördern.
Dazu sind folgende Maßnahmen notwendig:
Bedarfsgerechter Umbau- und Ausbau der vorhandenen Übungsgelände,
Entwicklung niedrigschwelliger und zielgruppengerechter
Informationsangebote für erwachsene Verkehrsteilnehmenden,
Information und Beteiligung vor Ort durch regelmäßige Stadtteilforen zur
Verkehrssicherheit.
Begründung
Die Zahl der Toten und Verletzen im Leipziger Straßenverkehr ist in den letzten Jahren konstant hoch geblieben. Jede/r der jährlich 14 (2016) bzw. 15 Toten (2015) ist zu viel. Der Anstieg der absoluten Verletztenzahlen von 2367 (2012) auf 2536 (2016) kann nicht hingenommen werden.
Der aus dem Arbeitsschutz stammende Grundgedanke von Vision Zero ist, das Menschen Fehler machen. Das System Verkehr muss mit diesen Fehlern rechnen und sie verzeihen. Die Belastbarkeitsgrenzen des menschlichen Körpers werden zum entscheidenden Maßstab. Unfallfolgen dürfen auch im schlimmsten Fall nicht mehr tödlich sein. Aus diesem Prinzip folgt, dass nicht mehr allein die Unfallbeteiligten Verantwortung für Unfälle übernehmen müssen, sondern die Verhinderung von Todesfällen und Verletzungen eine gesellschaftliche und politische Aufgabe ist. Mit den hier vorgeschlagenen Maßnahmen wird es für Jung und Alt in Leipzig einfacher und sicherer, zu Fuß oder per Rad die Ziele zu erreichen:
Zu 1:
Um das Ziel Vision Zero umzusetzen, muss im Verkehrs- und Tiefbauamt ein entsprechender Planungsstab mit mindestens 6 Verkehrsplaner*innen eingerichtet werden. Bei der Ausschreibung der Stellen ist darauf zu achten, dass die Bewerber*innen eine besondere Expertise für Rad- und Fußwegeplanung mitbringen.
Eine Bestandsaufnahme der derzeitigen Verkehrsplanung und die Entwicklung von Lösungsansätzen für Vision Zero ist zusammen mit Experten aus Deutschland sowie aus Ländern, die dieses Konzept bereits erfolgreich umsetzen (Großbritannien, Schweden, Schweiz, Norwegen und den Niederlanden) zu diskutieren. Die Leipzig Summer School bietet sich dazu an.
Das Wissen der Nutzer*Innen vor Ort muss bei der Planung berücksichtigt werden, um Gefahrenpunkte zu erkennen und funktionierende Lösungen zu finden.
Zu 2:
Das größte Gefahrenpotenzial bei Unfällen mit schwerwiegenden Verletzungen im Straßenverkehr geht von Kollisionen des motorisierten Individualverkehrs (MIV) mit anderen Verkehrsteilnehmern, wie Fußgängern und Radfahrern aus. Durch verbesserte Verkehrsstrukturen soll die gegenseitige Rücksichtnahme aller Verkehrsteilnehmenden ermöglicht werden. Deshalb ist den schwächsten Verkehrsteilnehmenden bei der Verkehrsplanung Vorrang einzuräumen. Diese Vorrangstellung entspricht dem vom Stadtrat am 27.9. beschlossenen Nachhaltigkeitsszenario für die Verkehrsplanung der Stadt Leipzig.
Zu 3.
Eine geringere Geschwindigkeit im Straßenverkehr wirkt sich unmittelbar auf das Risiko von Todesfällen und Verletzungen aus. Ein wirkungsvoller Schritt ist die Ausweitung von Fußgängerzonen/ Fußgängerbereichen. Über die Ausweisung von Fahrradstraßen sollten interessante Projekte wie das Radquartier Bremen (https://radquartier-bremen.de/) auf ihre Umsetzbarkeit für Leipzig hin überprüft werden. Die aktuellen bundesrechtlichen Regelungen stehen einer Ausweisung von 30 km/h als Regelgeschwindigkeit entgegen. Um dennoch einen größeren Anteil von Tempo-30-Straßen zu erreichen, soll verstärkt das Mittel von Verkehrsversuchen (StVO §45 (6)) eingesetzt werden. Ziel ist es, die Maximalgeschwindigkeit auf Hauptstraßen zu begrenzen und hier das Verletzungsrisiko durch bauliche Maßnahmen zu begrenzen.
Zu 4.
Die sichere Gestaltung des Verkehrsraums ist wesentlich von den örtlichen Gegebenheiten abhängig und muss dementsprechend differenziert geplant werden (vgl. Pt. 1). Generell sind anstelle von Ampelkreuzungen einspurige Kreisverkehre sinnvoll, wo sich Radfahrer und Kraftfahrzeuge die Spur teilen, wie in Leipzig am Herzliyaplatz oder Erich-Zeigner-Allee/Industriestraße.
Rund um Schulen und Kindergärten sollten auf geeignete Weise verkehrsberuhigte Zonen eingerichtet werden, um Schulkindern und Ihren Eltern einen sicheren Schulweg zu Fuß oder mit dem Rad zu ermöglichen.
Ein weiteres Element von Vision Zero ist das Vermeiden von Nutzungskonflikten zu Ungunsten der schwächeren Verkehrsteilnehmer. So ist Parken am Straßenrand auf öffentliche Straßen für Radfahrer*innen gefährlich. Für sie sind plötzlich öffnende Türen eine häufige Unfallursache („Dooring Unfälle“), oder sie müssen in den fließenden Verkehr ausweichen. Hier können z.B. Aufklärungskampagnen seitens der Stadtverwaltung sinnvoll sein, die Radfahrer*innen nahelegen, einen Mindestabstand vom 1m zu parkenden Autos einzuhalten haben und Autofahrer*innen wie Straßenbahnen Radfahrende mit mindestens 1,5m Abstand überholen müssen. Abgesenkte Bordsteine sind für Rollstuhlfahrer und Kinderwägen da, damit diese die Straßen überqueren können. Sind diese zugeparkt, werden die Schwächsten der Gesellschaft zusätzlich behindert. Zudem müssen Fußgänger sichtbar sein. Geparkte Autos hindern die Sicht für alle Verkehrsteilnehmer, insbesondere an Kreuzungen. Der Stadtordnungsdienst muss diese Vergehen konsequenter – notfalls durch Abschleppmaßnahmen – ahnden.
Zu 5.
Die Verkehrserziehung eignet sich als präventive Maßnahme insbesondere für jüngere Verkehrsteilnehmer*innen. Darüber hinaus sind auch Erwachsene auf geeignete Weise zu informieren. Die konkrete Durchführung dieser Veranstaltung sollte in enger Zusammenarbeit zwischen Bildungsträgern, Verbänden und Verkehrs- und Tiefbauamt erfolgen.
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